Von Hühnermist und Diebestouren

Prager Zeitung


In seinem Lausbuben-Buch „Warum Elefanten kotzen“ erzählt Jan Pavel von Ausflügen in die Kanalisation und Jugendjahren in der Peripherie. Fortsetzung folgt

Der unwiederbringliche Verlust des Ortes ihrer Kindheit treibt viele Menschen um. So scheint es auch bei Jan Pavel zu sein. Einem jungen Autor, der mit seiner Familie im Prager Ortsteil Hloub??tín lebt, wo er in den 1980er Jahren auch aufwuchs. Den Stadtteil bezeichnet er heute als „Peripherie Prags im wahrsten Sinne des Wortes“. Es gebe Obdachlose, Unordnung und gebrauchte Drogenspritzen, die auf den Spielplätzen herumliegen. Bevor hier zahlreiche Häuser dem Bau der U-Bahn weichen mussten, verzapfte der junge Pavel in dem Viertel so manchen Lausbubenstreich. In seinem 2011 erschienenen Buch „Proč blijou sloni“ (Warum Elefanten kotzen) schickt Pavel den zwölfjährigen Helden Michal und seinen Freund Adam auf die Spuren seiner einstigen Abenteuer. Zum Beispiel zu einem Ausflug in die Kanalisation Prags.

Der Buchtitel ist eine Paraphrase auf eine Liedzeile des tschechischen Kultsängers Petr Spálený: „V Montgomery bijou zvony“ (zu Deutsch „In Montgomery schlagen die Glocken“) verändert Pavel zu „V Montgomery blijou sloni“ („In Montgomery kotzen die Elefanten“) – ein Satz, den der Held seiner Geschichte als Kritzelei an den Wänden einer Unterführung liest. Die Episode lässt dem Leser Interpretationsspielraum in viele Richtungen. Obwohl das Buch nicht politisch ist, erweisen sich die handelnden Personen doch durch die damalige Zeit in ihren Möglichkeiten eingeschränkt. So geht es nicht um die Probleme einer Dissidenten-Familie, sondern um Eltern, die sich mehr oder weniger gut durchs Leben schlagen. Der Ich-Erzähler ist ein ganz normaler Junge, der wenige Jahre vor der Samtenen Revolution in Hloub??tín seine frühe Teenager-Zeit erlebt.

Kindheit im Visier

Als vielseitigen und kreativen Menschen beschreibt Christina Frankenberg vom Tschechischen Zentrums Berlin den Schriftsteller auf der Leipziger Buchmesse. Dort präsentierte Pavel in diesem Jahr seine „kotzenden Elefanten“ erstmalig vor deutschem Publikum. In Form des übersetzten zweiten Kapitels gab er Einblick in seine Geschichte – in der Hoffnung, nun auch einen deutschen Verleger dafür zu gewinnen, das Buch in vollständiger Übersetzung herauszugeben.

Oft wird der junge Mann gefragt, ob das Werk, an dem er immerhin die letzten 13 Jahre geschrieben hat, autobiografisch sei. Pavel hat dann immer dieselbe Antwort parat: „Nachdem das Buch erschienen war, hat meine Familie einen Monat nicht mit mir geredet.“ Das liegt an den vielen kleinen Details, die er aus seiner Kindheit hat einfließen lassen. Wer gibt schon gern in der Öffentlichkeit preis, dass er mit seinem Sohn auf Raubzug nach Abziehbildern ging, um sie dann auf zweitklassiges Geschirr zu kleben und gewinnbringend zu verkaufen? Am meisten musste er sich vor seiner Familie jedoch für die auf dem Lande lebende Großmutter im Buch rechtfertigen. Als vulgäre, derb schimpfende Frau, bei der es Hühnermist stinkt und die deshalb insgeheim „Smrtihlav“ („Totenkopf“) genannt wird, ist sie in der Geschichte dargestellt. Die Figur jedoch, so betont der Autor, sei frei erfunden.

Zwischen Familie und Arbeit

Der hellen, ausdrucksstarken Stimme Pavels hört man gern zu, wenn er aus seinem Buch vorliest. Ab und zu zieht er seine linke Augenbraue hoch. „Tragikkomische Texte machen mir am meisten Spaß“, verrät der Schriftsteller, Absolvent des Prager Jaroslav- Ježek-Konservatoriums für Text- und Drehbuchschaffen. Lyrik und Prosa hat er in den tschechischen Medien bisher bereits veröffentlicht und auch einige Novellen geschrieben. Seine Erzählungen unter dem Titel „Zbytečnost“ („Zwecklosigkeit“) sind 2010 auf Englisch erschienen, ein Jahr zuvor auf Portugiesisch – weil der tschechische Botschafter in Brasilien ein schönes Buch brauchte, um dort die Literatur seines Heimatlandes vorzustellen. Die „kotzenden Elefanten“ sind in Tschechien sein „erstes ziemlich erfolgreiches Buch“, wie er es selbst sagt. 2012 kam die slowakische Version („Prečo slony grcajú”) heraus, 2014 soll die polnische folgen.

Derzeit schreibt Pavel an seinem ersten Dedektivroman, der wahrscheinlich im Herbst veröffentlicht wird. Sein zweites aktuelles Projekt als Schriftsteller ist eine Fortsetzung der „kotzenden Elefanten“. Darin erscheint wieder ein psychisch krankes Kind, wie es – im Gegensatz zu seinem Bruder Ji??í im richtigen Leben, auch der jüngere Bruder des Haupthelden in den „kotzenden Elefanten“ ist. Nachdem Pavel einst als Erzieher in einem Kinderferienlager mit Autisten gearbeitet hatte, lässt ihn das Thema nicht mehr los. Viel Fachliteratur hat er dazu schon studiert.

Mit großen Schritten geht Jan Pavel jetzt auf die 40 zu. Ende Oktober ist es soweit. Wahrscheinlich wird es eher eine kleine Familienfeier werden, aber so richtig Gedanken gemacht hat sich der dunkelblonde Mann mit den weichen, freundlichen Gesichtszügen dazu noch nicht. Nach einer fünfjährigen gescheiterten Ehe ist Pavel seit mittlerweile vier Jahren wieder glücklich verheiratet. Mit seiner Frau Zuzana hat eine vierjährige Tochter namens Eliška, Sohn Šimon ist zwei Jahre alt. Ihr nächstes großes gemeinsames Projekt ist ein Häuschen in Milovice bei Prag. Wenn alles klappt, können sie schon im Frühjahr mit dem Bau beginnen. Im neuen Garten will die junge Familie dann Tomaten anbauen. „Die Kinder sollen einen Sandkasten und eine Schaukel bekommen, um sich richtig austoben zu können“, erzählt der Schriftsteller begeistert. Zurzeit wohnt die Familie in einer Dreizimmerwohnung in einem Plattenbau in Hloub??tín, dem Stadtteil seiner Kindheit

Familie und Arbeit sind für Pavel gleich wichtig. Keinem von beiden will er einen Vorzug geben. Seinen Tagesablauf hat er dementsprechend eingeteilt. Als Frühaufsteher versucht er von etwa 6 Uhr morgens zwei bis drei Stunden schriftstellerisch tätig zu sein. Danach arbeitet er den ganzen Tag als Redakteur im Verlag Slovart. Abends steht dann seine Familie ganz im Mittelpunkt. Deswegen sagt Pavel auch – ganz untypisch für die heutige Zeit: „Ich bin ein glücklicher Mensch.“

Von Katja Zimmermann